Auf den Spuren Sigmund Freuds
Für die Neugestaltung unserer Freud Suite #63 ließ sich die Architektin Elfrid Wimmer-Repp in den Sigmund Freud Museen in Wien und London inspirieren. Mit großer Sensibilität schuf sie Räume, die auf eine immersive Reise in die Vergangenheit und den Geist des berühmten Wiener Psychoanalytikers Sigmund Freud einladen. Wie die Stadt Wien und Freuds Sammelleidenschaft ihre Designentscheidungen beeinflussten, verrät Elfrid im Video-Interview mit Saskia Wiesenthal.
Das Gespräch in voller Länge
Wie kam es denn zur Kollaboration zwischen dir und dem Altstadt Vienna?
Ich kenne das Hotel von Anbeginn an und war in manchen Überlegungen zur Gestaltung eingebunden, habe ein paar Zimmer eingerichtet und war an der Umsetzung von den Thun-Zimmern und einigen Suiten beteiligt. Otto Ernst hatte mir beim letzten Besuch ein neu eingerichtetes Zimmer gezeigt, im Vorbeigehen am Zimmer 63 ließ er den Satz fallen „die Freud Suite gehört auch aufgefrischt“. So hat das begonnen.
Was waren die ersten Schritte in der Konzeptfindung für dieses Zimmer? Wie bist du an die Auseinandersetzung mit Sigmund Freud herangegangen?
Ich habe begonnen zu lesen und zu recherchieren und mich bei erstbester Gelegenheit auf den Weg in die Berggasse gemacht, wissend dass Freuds Wohnhaus, seit 1971 in ein Museum verwandelt, von dem österreichische Architekturgranden Hermann Czech sehr feinfühlig umgestaltet worden ist.
Die frühere Nutzung der Räume wird anschaulich gemacht aber nicht rekonstruiert. 1938 musste Freud nach England emigrieren, die Wohnung wurde aufgelöst, die Möbel nach London verbracht. Somit gibt es viele Leerstellen, auch jene Stelle, an der einst die psychoanalytische Couch stand. Damit wird auf sehr eindringliche Weise auf den dunklen Verlauf der Geschichte verwiesen.
Ich war angetan von diesem atmosphärisch aufgeladen Ort voller Erinnerungen, den verbliebenen Farbspuren an Decken und Wänden, den Resten weiß lackierter Einbauschränke in den Gängen und der Garderobe vor der Ordination. Diese Elemente habe ich als Anregung genommen.
In der Garderobe hast du eine Bast-Rückwand eingesetzt – bitte erzähl uns den Hintergund deiner Wahl.
Ja, die vorhin genannte Garderobe ist in einem zarten Salbeigrün gestrichen und hat Füllungen die mit einem Raphia- oder Bast ähnlichem Gewebe tapeziert sind und darin sind Messingkleiderhaken befestigt. Für den schmalen langen Gang der Freudsuite kam mir das sehr entgegen. Die Länge ist durch die farblich abgesetzten Füllungen etwas gemildert, verstärkt wird das noch durch die Spiegelwand in der Mauerschräge, in deren Nischen kleine Skulpturen von Chow Chows stehen, den Hunden die Sigmund Freud besonders liebte.
Vor welche Herausforderung hat dich die Gestaltung der Räume in der Freud Suite gestellt? Und wie hast du sie gemeistert?
Die vielen Fotos von Freuds Arbeitszimmer zeigen ja diese unglaubliche Überfüllung der Räume im Stil des späten 19. Jahrhunderts. Volle Bücherregale, die wenigen verbliebenen Wandflächen sind vollbehängt mit Stichen und Fotos, gut erkennbar Marie Bonaparte, Lou Andreas Salomé und die Diseuse Yvette Guilbert. Über der berühmten Couch hing zentral das Bild von Abu Simbel, daneben ein Gipsabguss der pompejanischen Gradiva mit einem hinter dem Rahmen gesteckten getrocknetem Papyruszweig und ein Bild von Ingres‘ Oedipus und Sphinx.
Über einer Vitrine hing die berühmte Darstellung von Pierre A. Brouillet in der Charcot seinen Studenten im Krankenhaus La Salpêtrière in Paris eine Hysterikerin vorstellt – bei einer jener Vorlesungen, die den jungen Freud so tief beeindruckt hatten. Dieses Bild habe ich übrigens als Oberfläche des Frame TV vorgeschlagen.
Vorgelagert diesen Bücher-und bebilderten Wänden waren Glasvitrinen und Tische belegt mit Orientteppichen darauf Aufsatzvitrinen, die alle mit unzähligen Statuetten, Torsi und Büsten von griechischer, römischer, ägyptischer oder chinesischer Herkunft gefüllt sind. Auch der Schreibtisch war zur Hälfte von in Reihen angeordneten Statuetten vollgestellt. Ich war fasziniert von dieser wissensgetriebenen Sammelleidenschaft, den vielen damit verbundenen mythologischen Geschichten. Aber gleichzeitig fängt das Nachdenken darüber an, wie die Impressionen solch einer unüberschaubaren Ansammlung in ein Hotelzimmer transferiert werden können.
Schön langsam reifte die Idee, diese Geschichten von Gegenständen, also den Büchern, Bildern und Statuetten in Schichtungen oder Überlagerungen zu denken. Und Geschichten erzählen ja auch die symbolbehafteten Muster der Orientteppiche, das war dann die gedankliche Verbindung.
Der Teppich, der sich von einer Wand zur nächsten erstreckt zeigt viele Figuren und wurde eigens für die Freud Suite angefertigt. Was hat dich dazu inspiriert?
1938 konnte Edmund Engelman Freuds Ordination fotografisch dokumentieren, ehe die Möbel verpackt und nach London verschickt wurden. An diesen Bildern habe ich mich entlanggehantelt. Die berühmte Couch stand ja vor einem Wandteppich und war mit einem Smyrnateppich und großen Kissen belegt, ergänzt von bürgerlich sorgfältig umhüllten kleineren Kopfkissen. Dieses Nebeneinander von textilen Flächen, Bilderflut und antiken Götterfiguren ist dann in den Teppich eingeflossen der mit Hochzügen an den Wänden wie ein Schal den Raum durchmisst und als Bildgrund fungiert, der all das aufnehmen kann. Diese Hochzüge dienen einerseits als Betthaupt und andrerseits als Rückwand des Sofas.
Mit einem Teppich für das Schloß Leopoldskron hatte ich bereits gute Erfahrungen mit der Firma HTW in Herford gemacht. Mittels eines Laserdruckverfahrens wird die Farbe direkt in die Faser des getufteten weißen Grundmaterials aufgebracht, was eine besondere Tiefenwirkung erzeugt. Das vorhandene Bildmaterial wurde in mehreren Schichten überlagert, gedreht, gespiegelt und so verfremdet, um keine urheberrechtlichen Probleme zu bekommen. Gemeinsam mit dem Salzburger Künstler Erik Hable wurde das ausgetüftelt.
Unsere Gestalter*innen werden immer gebeten, auch über eine Interpretation des Wiener Lebensgefühls nachzudenken und dieses abzubilden. Was ist denn für Dich an der Freud Suite besonders Wienerisch?
Schon alleine das Entrèe des Hotel Altstadt zu betreten ist für mich wienerisch, vorbei an Frau König, der Seele des Hauses und das schöne Stiegenhaus hinaufschreiten ins Mezzanin zum Schlüsselholen. Dann das Zimmer zu suchen in einer der vielen Etagen in Gängen, wo man bereits jede wackelige Betonfliese kennt fühlt sich für mich an wie Heimkommen. Das es auch echte Nachbarn gibt, gehört zu diesem Flair und dass man mittendrin ist in der Stadt.
Als typisch für das Wiener Lebensgefühl empfinde ich auch die aus alten Wohnungsgrundrissen entstandenen Zimmeranordnungen, in der Freud Suite drückt sich das im langen Gang aus, im WC mit Fenster zum Innenhof, im großen Badezimmer, das etwas aufgefrischt wurde und nun eine freistehende Wanne erhalten hat. Auch die beeindruckenden Raumhöhen und hohen Türen und Fenster haben daran wesentlichen Anteil. Ebenso die bereits erwähnten lackierten Möbel und die Basttapezierung der Garderobe und die bereits vorhandenen Wiener Möbel wie der Schreibtisch und der Thonet-Schaukelstuhl. Alles was zu dem bereits Wienerischen dann an Neuem dazukommt fügt sich ein, ergänzt, überhöht oder hebt sich bewusst ab. Wie eine Melodie, die mit weiteren Stimmen unterlegt vielstimmiger wird.
Was bringst Du mit dem Wiener Lebensgefühl in Verbindung?
Neben den offenen Zugängen, eleganten Stiegenhäusern, Gängen mit Wienerberger Betonfliesen und großzügigen Raumproportionen verbinde ich das auch mit klassischen, traditionellen Einrichtungen, Badezimmern mit schwarz- weißen Fliesen. hohen Einbauschränken die viel Stauraum bieten, schweren Vorhängen und Stores, einer besonderen Wertschätzung gegenüber gut gearbeiteten Möbeln der 60er und 70er Jahre, klassischen Lustern in der Raummitte. Dazwischen eingestreut sehe ich Stühle von Haerdtl, Frank oder Rainer, Gläser von Lobmeyr, Leuchten von Kalmar oder Vest, Porzellan von Augarten auf Tischwäsche der schwäbischen Jungfrau und handwerklich Exquisites aus den Wiener Werkstätten. Und als besonders wienerisch empfinde ich es, wenn all das gut durchmischt wird von ererbten Sachen oder persönlichen Lieblingsgegenständen, originellen Designergegenständen, einem Schuss Kitsch und zeitgenössischer Kunst.
Wie äußert sich das im Zimmer, in den Möbeln, den Materialien?
Durch den Bestand, das Bad war ja vorhanden, die ehemalige Einbauwanne über Eck wurde entfernt und durch eine freistehende Wanne ersetzt. Die schon erwähnte Garderobe nimmt Füllung und Farbe der Freudschen Wohnung auf, Kasten und Anrichte ebenso die klassische Formgebung und die deckende weiße Lackierung. In der Raummitte hängt eine in Wien häufig verwendete Kugelpende aus Milchglas. Die kleineren Formen sind im Gang zu finden, die Messingwandleuchten mit den braunen Stoffschirmen neben dem Bett sind angefertigt. Neu sind die Stehleuchte Equatore von Fontana Arte aus dem Jahr 2017 und Leumu, die Tischlampe von Iittala auf der Anrichte. Der Schreibtisch ist Bestand, die Leuchte Kaiser Idell von Fritz Hansen ein Klassiker. Die Vorhangstangen wurden auch in Form und Material den räumlichen Gegebenheiten angepasst und sondergefertigt.
Schwierig war es ein Pendant für die von Freud als Ottomane bezeichnete Liege zu finden. Diese berühmte Analyse Couch die sofort Assoziationen wachwerden lässt. In Wien gibt’s ja so etwas wie den psychoanalytischen Jargon, wir sprechen von Sublimierung, Triebverhalten, Penisneid, Tabu und Ambivalenz, Traumdeutung und Wunscherfüllung oder dem Ödipuskomplex, ohne eigentlich wirklich zu wissen, woher diese Worte stammen und was sie bedeuten.
Otto hatte mir sehr schöne schlichte Modelle vorgeschlagen, ich habe zuerst an die Barcelona Couch von Mies van der Rohe gedacht und dann ist mir eingefallen, dass der Wiener Designer Heinz Frank 1970 eine Liege entworfen hat aus vielen, Lederknüppeln ähnlichen, kugelförmigen Gebilden. Auf der weiteren Suche bin ich auf das vom Mailänder Unternehmen Studiopepe entworfene Daybed Five to Nine von Tacchini gestoßen. Die Designer ließen sich inspirieren von Entwürfen aus den 1900er Jahren, die an Liegen in fiktiven Künstlerateliers denken lassen als Wiege des kreativen Genies. Die mit Leder bezogen Rollen sorgen für einen minimalistischen Bauhaus-Effekt. Diese Rollen wiederum gaben den Ausschlag weil sie mich an die Frank Liege erinnert haben. Und zu guter Letzt hat es euch allen gefallen.
Am linken Kopfende der Couch stand in der Berggasse im Analyseraum der Fauteuil Freuds. Dafür hat mir Flaviano Capriottis Sitzmöbel Sunday von Poliform gut gefallen, ein zierlicher, kompakter und umhüllend gepolsterter Stuhl, der die Atmosphäre intimer Geselligkeit repräsentiert. Dazu passte dann sehr gut das ovale Tischerl Latos von &Tradition.
Was kannst Du zum Farbkonzept sagen?
Im Vorraum wie gesagt ist die Farbe „Pigeon“ von Farrow&Ball ähnlich wie in der Berggasse. Im Zimmer musste bedingt durch den Druck der Lieferzeiten der Teppich sehr früh bestellt werden, das heißt die Farben bestimmt werden. Bei dem Laserdruckverfahren sind das Tausende mögliche Farben. Dann erhält man ein 1:1 Muster und muss das umgehend bestätigen. Im Falle einer Änderung wird man in der Produktionszeit wieder nach hinten gereiht, das war also nicht möglich. Mir schwebten anfänglich Pfirsichtöne vor weil sie mich an „Tractatus IDeuses“ erinnert haben, eine Installation von Ernesto Neto, die das Freud Museum 2005 beauftragt hatte. Diese Farben erwiesen sich aber als zu blass. Der nun verwendete Farbton lehnt sich an die mit rostrotem Samt tapezierten Möbel im Vorraum von Freuds Ordination an, in dem sich die Wiener psychoanalytische Gesellschaft einmal wöchentlich getroffen hatte. Er schien mir passender zu sein, etwas mehr ins Cognacfarbene gerückt unterstreicht er auch gut die satte Lederfarbe der Liege.
Was ist dein Lieblingselement/Objekt im Raum?
Ich mag alle Möbel gerne, ist es doch auch immer mit etwas Bauchweh verbunden aus Prospekten und Datenblättern Neues auszusuchen ohne zuvor die Möglichkeit des darauf Sitzens oder Begreifens von Material gehabt zu haben. Besonders ansprechend finde ich den alten Holzdrehstuhl von Sedus aus der Schweiz der 40er Jahre und die Iittala Lampe auf der Anrichte, die beide nur über das Internet bestellbar waren. Ich bin glücklich, wenn sich am Ende die Gegenstände gut einfügen und zusammenpassen.
Wie viel bringt man als Designer*in von seinem eigenen persönlichen Wohnstil mit, oder löst man sich irgendwann komplett davon?
Als studierte Bühnen- und Kostümbildnerin wird man darauf getrimmt, sämtliche Stile nachempfinden zu können. Wichtig finde ich mit dem Bestand sorgfältig umzugehen und ausgiebig zu recherchieren. Die persönliche Handschrift drückt sich in guten Formen, Proportionen, Materialien, überlegten Detaillösungen und Farbabstimmungen aus und lässt sich, denke ich, auch erspüren. Ja, etwas sehr Persönliches habe ich schon eingebracht. Als Kind habe ich eine heiß geliebte Ausgabe der griechischen Sagen von Gustav Schwab geschenkt bekommen mit den wunderbaren Zeichnungen von John Flaxmann, diese sind auch im Teppich im Bereich der Liege zu finden.
Wie soll sich der Gast in deiner Suite fühlen? Wen siehst du da drinnen?
Pragmatisch gesehen soll sich ein Gast sofort einfühlen können, weil er unkompliziert alles vorfindet was er braucht. Bei gutem Licht lesen und arbeiten, entspannen und gut schlafen können ist ja selbstverständlich. Ich wünsche mir ihn aber auch als neugierigen Gast, der sich Gedanken über die sichtbaren Zeichen der Gestaltung macht, vielleicht auf der Liege durch die Figurenmuster sich anregen lässt und ungewöhnlichen Gedanken nachhängt.
Aber er darf sich auch fragen wie die Psychoanalyse von Wien aus die Welt beeinflusst hat und welche Auswirkungen das hatte. Etwa am Beispiel von Freuds Neffen Edward Bernays. Von ihm stammt der Satz: „Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppendenkens verstehen, wird es möglich sein, die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern.“
Er ist sozusagen der Erfinder der Public Relation, arbeitete u.a. für die American Tobacco Company wobei er den Umsatz verdoppelte indem er Frauen als Tabakkonsumentinnen ansprach. Aber einfach nur tagträumen ist auch in Ordnung.
Bist du selbst oft in Hotels unterwegs? Welche Ansprüche hast du an ein Hotelzimmer?
Ich reise gerne und bin neugierig auf neue Hotelkonzepte und den dazugehörenden Narrativen. Daher sitze ich am liebsten mit Eurem Vater beim Frühstück und lasse mir von ihm schildern, was alles an neuen Errungenschaften zwischen Architektur, Design es gibt und welche neuen Hotels er auf seinen vielen Reisen gesehen und ausprobiert hat.
Meine Ansprüche sind einfach, ich lasse mich gern überraschen, hab‘s gern persönlich, ohne Lobby, und liebe es beim Verlassen eines Hotels gleich mitten im Geschehen zu sein..
Dein Fazit?
Wenn den Gästen das Zimmer lieb wird und ihr zufrieden seid, so freut es mich. Dankbar bin ich auch für die Zusammenarbeit mit euren Mitarbeiter*innen und Handwerker*innen, die das Hotel ja bereits gut kennen. Viele Pläne und Muster wurden zwischen Wien und Salzburg hin und hergeschickt um von allen begutachtet werden zu können. Dafür und die terminliche Abwicklung ein besonderes Dankeschön an Barbara.